Die Firma SAN Group Biotech Germany GmbH hat am 22. April 2024 einen Rückruf aller ANIVAC BTV-3 Impfstoffe (autogene Impfstoffe gegen das Virus der Blauzungenkrankheit Serotyp 3) gestartet. ANIVAC BTV-3 Impfstoffe sind bis auf Weiteres nicht verfügbar.
Hintergrund: Bei Nachuntersuchungen wurden Mängel bei Inprozesskontrollen festgestellt. Nach erfolgter Impfung sei es zum PCR-Nachweis des Virus gekommen.
Anstieg der BTV-3-Infektionen für das Sommerhalbjahr erwartet
Derzeit verhält sich das Auftreten von Fällen des neuen Blauzungenvirus Typ 3 noch ruhig, Experten erwarten allerdings einen Anstieg der BTV-3-Infektionen über das Sommerhalbjahr. Das Friedrich-Löffler-Institut (FLI) schätzt die weitere Ausbreitung des Virus jetzt so schnell ein, wie es im Rahmen des Seuchengeschehens vom Serotyp 8 (BTV-8) in den Jahren 2006 bis 2009 zu beobachten war.
Entsprechend fragen sich rinderhaltende Betriebe aktuell, wie sie ihre Herden schützen können, insbesondere in den bisherigen BTV-3-Restriktionszonen Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen. Denn in Fällen von Infektionen drohen den Rinderhaltern wirtschaftliche Schäden durch Behandlungskosten, Leistungseinbußen und unfreiwillige Abgänge.
In den Niederlanden sind im vergangenen Jahr mehr als 50.000 Schafe und fast 8.000 Rinder an den Folgen der Virusinfektion verendet. Die Ausbruchszahlen in Deutschland sind bislang überschaubar – insgesamt sind seit dem ersten Fall im Oktober 2023 beim FLI 52 Fälle gemeldet (Stand 04.04.2024).
Die einzige Möglichkeit, Herden vor den schweren Verläufen der Virusinfektion zu schützen, würde eine Impfung bieten. Ein „richtiger“ zugelassener, geprüfter Fertigimpfstoff gegen BTV-3 steht bislang nicht zur Verfügung. Möglicherweise kann Ende Mai 2024 ein Impfstoff mit einer „Notfallzulassung“ aus der Pharmaindustrie auf den Markt kommen – allerdings ohne die üblichen zwei bis dreijährige Prüfphase am Tier.
BTV-3 Schutzimpfung bislang nur mit autogenen Impfstoffen möglich
Kurzfristig hat sich die Möglichkeit entwickelt, dass in den gefährdeten Regionen ein „bestandsspezifischer“, autogener Impfstoff zum Schutz vor dem BTV Typ 3 zum Einsatz kommen kann – dieser wurde aufgrund positiver PCR-Nachweise am 22.04.2024 zurückgerufen! Der Begriff „bestandsspezifisch“ ist dabei auf die gesamten betroffenen Regionen ausgeweitet worden.
Das in dem autogenen Impfstoff enthaltene Impfvirus ist abgetötet und beruht auf dem BTV-3 Virusisolat aus einem Schaf im Kreis Kleve von Oktober 2023.
Ähnlich einem früheren „bestandsspezifischen Impfstoff“, müssen autogene Impfstoffe für die jeweils zu impfenden Tiere eines Betriebes verschrieben und abgefüllt werden. Von der Verschreibung durch den Tierarzt bis zur Impfung der Tiere vergehen etwa zwei Wochen. Die Herstellungserlaubnis eines Herstellers in Niedersachsen liegt vor, sodass tierärztliche Verschreibungen an die Herstellungsfirma gesendet werden können, heißt es seitens des LAVES (Niedersachsen, Stand: 04.04.2024).
Durchgeführte Impfungen sind von den Tierarztpraxen in der Datenbank HI-Tier zu dokumentieren. Nach Auffassung der EU-Kommission eröffnet der Einsatz von autogenen Impfstoffen aber leider keine Möglichkeit, BTV-3 empfängliche Tiere ohne vorherige PCR-Untersuchung und Behandlung mit Repellentien in freie Zonen zu verbringen. Entsprechende Handelserleichterungen sind demnach durch diese Impfung nicht zu erwarten. So die Informationen des LANUV (NRW, Stand: 25.03.2024).
Wichtig: Bei jeder neuen bestandsspezifischen Impfung liegen vor dem Einsatz keine Prüfungen zu Wirksamkeit und Verträglichkeitvor. In der praktischen Anwendung wird daher eine kleine Gruppe von Tieren im Bestand vorgeimpft und bei guter Verträglichkeit der Rest der Herde nach einigen Tagen nachgeimpft – der Anwender alleine trägt das Risiko von Nebenwirkungen.
Gleichzeitig wird erwartet, dass die Produktionskapazitäten für die Bestandsimpfung begrenzt sind, so dass unter Umständen eine rechtzeitige Impfung vor der BTV-Saison nicht mehr möglich ist. Gleichzeitig soll die Impfung für die, mit deutlich schwereren Erkrankungsverläufen betroffenen, Schafe und Ziegen Vorrang haben.
Vor diesem Hintergrund stehen die Tierärzte und Tierhalter vor einer schweren Entscheidung. Diese muss jeder Betrieb auch unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten mit dem Hoftierarzt besprechen, erklärt Dr. Mark Holsteg vom Rindergesundheitsdienst NRW.
Aktuelle Meldungen seitens der zuständigen Behörden:
Die Tierseuchenkassen befinden sich derzeit im bundesweiten Austausch über weiteres Vorgehen sowie Beihilfezahlungen rund um das Thema Blauzungen-Virus Typ 3 – wir berichten hier, sobald es neuen Informationen gibt.
Interview: Entscheidung zur Impfung gut abwägen! (Stand: 10.04.2024)
Mark Holsteg
Rindergesundheitsdienst NRW
Für welche Betriebe kann der Einsatz des autogenen Impfstoffs sinnvoll sein?
Dr. Mark Holsteg: Eine Impfung der Rinder vor der Hauptflugzeit der Gnitzen im Juli ist zu empfehlen. Die Auswirkungen der Blauzungeninfektion sind sehr unterschiedlich, da es sich um eine Virusinfektion handelt, die unter anderem die kleinen Blutgefäße betrifft. Hauptprobleme bei Rindern sind: Fieber, Leistungsdepression, Lahmheiten und Störungen bei Trächtigkeit und Reproduktion, außerdem kommt es zur Geburt lebensschwacher Kälber. Todesfälle bei erwachsenen Tieren sind eher selten.
Wie sind die Nebenwirkungen solcher Impfstoffe einzuschätzen?
Dr. Mark Holsteg: Der Herstellungsprozess autogener Impfstoffe unterliegt staatlichen Kriterien. Die Wirksamkeit und Verträglichkeit werden bei der Herstellung nicht geprüft und sind für jede autogene Vakzine unterschiedlich. Eine Bewertung der Nebenwirkungen ist im Vorfeld daher nicht möglich, die Entscheidung zur Impfung gegen BTV-3 muss jeder Landwirt gemeinsam mit dem Hoftierarzt gründlich abwägen.
Eine Bewertung der Nebenwirkungen des autogenen Impfstoffs ist im Vorfeld nicht möglich.“
Dr. Mark Holsteg
Schützt diese Art der Impfung nur die einzelne Herde vor schweren Symptomen, oder trägt sie auch dazu bei, die weitere Ausbreitung von BTV-3 einzuschränken?
Dr. Mark Holsteg: Die weitere Ausbreitung der BTV-3 ist mit einer freiwilligen Impfung wahrscheinlich nicht zu verhindern. Eine gesetzliche Pflichtimpfung, wie sie im Jahr 2007 gegen BTV-8 eingeführt wurde, ist nicht zu erwarten. Jeder Betrieb muss sich individuell schützen.
Eine Impfpflicht ist nicht zu erwarten. Jeder Betrieb muss sich individuell schützen.“
Dr. Mark Holsteg
Aktuell sind bereits aufgrund der feucht-warmen Witterung über die vergangenen Monate reichlich Mücken, Kribbelmücken etc. unterwegs – auch die BTV-übertragenden Gnitzen?
Dr. Mark Holsteg: Aktuell findet keine relevante Ausbreitung der BTV-3 statt. Die gemeldeten Fälle sind höchstwahrscheinlich Infektionen von Rinder aus dem vergangenen Jahr. Das Virus bleibt bis zu 200 Tagen im Blut von infizierten Rindern nachweisbar. Die Vermehrung des Virus in den Gnitzen und die Stärke der Gnitzen-Population ist von warmen Temperaturen über 25° C abhängig. In normalen Jahren erreicht die Aktivität in der zweiten Jahreshälfte ihren Höhepunkt. Ich rechne im Juni mit einzelnen Nachweisen frischer Infektionen und einer stetigen Steigerung der Fälle bis zu Höhepunkt im September und Oktober.
Ich rechne mit einer stetigen Steigerung der Fälle bis zu Höhepunkt im September und Oktober.“
Dr. Mark Holsteg
Was sind autogene Impfstoffe?
Autogene Impfstoffe sind Impfstoffe, die nach ausführlicher Diagnostik individuell für einen bestimmten Bestand (= bestandsspezifisch) hergestellt werden. Sie sind eine Möglichkeit zur Immunprophylaxe, sofern die Impfung nicht verboten ist, zugelassene Impfstoffe nicht verfügbar oder nachgewiesenermaßen nicht wirksam sind.
Autogene Impfstoffe werden aus, aus dem zu impfenden Betrieb stammenden Erregerisolaten hergestellt und dürfen nur als Inaktivat-Impfstoffe eingesetzt werden. Heißt, sie enthalten nur abgetötete Krankheitserreger oder auch nur Bestandteile der Erreger. Diese regen das körpereigene Abwehrsystem zur Antikörperbildung an, ohne dass die jeweilige Krankheit ausbricht.
Autogene Impfstoffe sind sie von der Zulassungspflicht ausgenommen. Zulassungsstudien zur Wirksamkeit und Verträglichkeit werden nicht durchgeführt. Um mögliche Nebenwirkungen und Schäden räumlich und zahlenmäßig zu begrenzen, dürfen diese Impfstoffe gemäß Tierimpfstoff-Verordnung nur in demselben Bestand eingesetzt werden, aus dem das jeweilige Erregerisolat stammt.
Autogene Impfstoffe sind verschreibungspflichtig. Die Herstellung darf nur von Tierärzten in Auftrag gegeben werden. Tierärzte sind stärker in die Pflicht genommen, als bei der Anwendung regulär zugelassener Impfstoffe, da es in der Verantwortung des beauftragenden Tierarztes steht, das richtige Erregerisolat auszuwählen. Er hat sicherzustellen, dass die Produkte korrekt angewendet werden, und eine Kontrolle des Anwendungserfolges durchzuführen.